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Marginalien

Oscar Wilde – Aphorismen

"Wer unter die Oberfläche dringt, tut es auf eigene Gefahr." Oscar Wilde

Keine literarische Gattung hat sich selbst so oft thematisiert wie der Aphorismus. Keine literarische Gattung aber läßt sich so schwer definieren wie der Aphorismus. Die stilistischen Grenzen zwischen ihm und Epigramm, These, Witz oder gar Tagebuchnotiz sind fließend. Es ist nicht allein seine sprachliche Kürze, deren Entstehung Gabriel Laub mit der von Statuen vergleicht, wenn er schreibt: »Man nehme ein Stück Marmor und schlage alles ab, was man nicht unbedingt braucht!« Der Aphorismus sagt nicht nur so wenig wie möglich, er sagt weniger als nötig. Dadurch ist er offen, voller Spannungen und Brüche, kann allein stehen und bedarf keines Umfeldes. Seinen Leser läßt er ins Leere laufen, zwingt ihn, die Folgerungen und Zusammenhänge selbst zu suchen, und er, schafft sich auf diese Weise im Leser seinen Kontext und seine Welt. Wer mit diesem »unfrisierten Gedanken« (Stanislaw Lec) konfrontiert wird, kann unmöglich bei ihm verweilen, sondern wird auf einen Weg geschickt, dessen Ziel er selbst finden muß. Der Aphorismus teilt keine Wahrheiten mit, sondern soll die Wahrheit überflügeln und »muß mit einem Satz über sie hinauskommen« (Karl Kraus). Auf diese Weise bricht er überall dort, wo er erscheint, starre Denkmuster auf und schafft neue Perspektiven.

In diesem Buch soll der Erzähler Oscar Wilde als Aphoristiker vorgestellt werden. Die Aphorismen der vorliegenden Sammlung sind aus dem Gesamtwerk herausgesucht, das eine reichhaltige Fundgrube darstellt. Sie sollen stets die gleiche Funktion erfüllen: eine Thematik zuspitzen und die Auseinandersetzung mit ihr folgen lassen, indem entweder herrschende Meinungen übertrieben dargestellt oder eigene Kontrapunkte provokativ und plakativ entgegengesetzt werden. Das dabei angewandte Prinzip ist jeweils das der Übertreibung als Methode zur Wahrheitsfindung.

Besonders deutlich wird die Rolle der Aphorismen in Wildes Dramen, in denen er das Salonleben der englischen Aristokratie beschreibt und gleichzeitig persifliert. Der Autor läßt snobistische Personen als »Sprechmaschinen« (P. Aronstein) auftreten, die miteinander anmutige, gepflegte und nichtssagende Dialoge führen und sich mit frivoler Nonchalance gegenseitig langweilen. Er kopiert bewußt die englische Gesellschaftskomödie des spätviktorianischen Zeitalters, die durch Form und Inhalt soziale Strukturen widerspiegelt und zugleich stabilisierende Wirkung ausübt. In diese Vorlage streut Wilde nun seine Aphorismen wie Tretminen hinein, mit dem Ziel, verfestigte Systeme von innen heraus aufzubrechen und neue Horizonte zu eröffnen. Aus dem Ästheten, der sich in der Oase der Kunst eine Gegenwelt zur Realität sucht, wird plötzlich ein Gesellschaftskritiker, der nicht nur die Verhältnisse dadurch aufschrecken will, daß er ihnen den Spiegel vorhält, sondern gleichzeitig Tore zu neuen Wegen zu eröffnen sucht. Sein Ziel ist die Entstehung einer Gemeinschaft von Menschen, die als Individualisten zusammenleben. Nur die Verwirklichung eines radikalen Individualismus, so schreibt Wilde in seinem Essay »Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus«, forme Menschen, welche nicht mehr nach der »Existenzweise des Habens« (Erich Fromm) leben, die nach der Aneignung von materiellen Gütern strebt und versucht, möglichst viel Material anzuhäufen, sondern nach einer »Existenzweise des Seins«. Deren Streben ist es, alle potentiell vorhandene Anlagen und Möglichkeiten des Menschen zur vollen Entfaltung zu bringen und sich auf der Grundlage einer inneren Vitalität ständig weiterzuentwickeln. Die Selbstverwirklichung des Individuums schafft diese neue Lebenseinstellung, die von Moden und Konventionen gereinigt ist, durch ihre tiefe Moralität jede falsche Moral ausschließt, die religiös ist und zugleich undogmatisch und eine Schönheit sucht, die heilt. Diesem Menschenbild ist zunächst der Künstler am nächsten, doch soll sich die gesamte Menschheit auf dieses Ziel hin weiterentwickeln.

Die Aphorismensammlung ist in Kapitel unterteilt, die wiederum thematische Unterordnungen aufweisen. Auf diese Weise kann man sich dem Denken Oscar Wildes durch die Beschäftigung mit einzelnen Themen nähern. Gleichzeitig sei aber auch die weitere Lektüre seiner Werke hiermit empfohlen, denn die anregende Atmosphäre der Texte kann in einer Aphorismensammlung nur andeutungsweise vermittelt werden.

Schwarz-Weiss-Photographien

Vom 15.3. - 28.5.1999 fand in der Galerie SWO eine Ausstellung von Partrait-Photos statt , zu der Jürgen Linde einen Begleittext geschrieben hat:

"Frank Thissen ist eigentlich gar kein Künstler.
Was dann? Er ist Medien-Didaktiker, Multimediaexperte, Dozent, Buchautor, Webdesigner, Philosoph, Germanist, Familienvater, und all das mehr oder weniger gleichzeitig.

Frank hat also reichlich zu tun und überhaupt keine Zeit. Daß er all dies bewältigt, ist sicher auch eine Kunst, aber nicht die Art von Kunst, die frau/man in einem SWO-Künstlerporträt erwartet.

Frank Thissen ist eigentlich doch Künstler.
Er ist Photograph, ein ganz hervorragender und eigenwilliger noch dazu. Und es fällt erfreulich auf, daß sich Frank doch Zeit zu nehmen weiß, wenn es um die Kunst geht.

Zum Fotografieren kommt er zwar selten, aber wenn, dann tut er dies mit großer Ruhe und Konzentration. Auch als er da war, um über die geplante Ausstellung in der Galerie SWO zu sprechen, sagt er, er habe soviel Zeit für das Gespräch, wie wir eben brauchen würden. Daß der Gesprächstermin zuvor zweimal recht kurzfristig verlegt wurde, um dies zu ermöglichen, nehme ich dann natürlich gerne in Kauf.

In diesem Gespräch erfahre ich - nun schon kaum mehr überrascht - daß Frank nicht allein sehr viel gleichzeitig tut, sondern dies sogar noch durch die Vielfalt der zeitlich nacheinanderfolgenden Tätigkeiten übertroffen wird. Frank Thissen berichtet aus seinem bisherigen Leben - hier ist der Lebenslauf - , wobei zunächst mal noch der Eindruck der neuen Unübersichtlichkeit wächst...
Aber auch eine entgegengesetzte Tendenz wird sichtbar; etwa zwei rote Fäden lassen sich entwirren: immer wieder aufgenommen wird - anhand verschiedenster Gegenstandsbereiche - das Fotografieren, daneben fallen immer wieder Lehrtätigkeiten auf - die natürlich auch wieder durch eine beeindruckende Vielfalt gekennzeichnet sind.

In Franks "Fotografischer Laufbahn" finden wir "Theaterfotos" (1982-85), "Fotos von Bäumen" (1983), schließlich aber auch Fotos von etwas, das man gar nicht sehen kann: Fotodokumentation "Deutschsprachige Analphabeten" (1989).

Dieses doch recht abstrakte Thema ist Ausdrucks von Franks Willen, lebendige Bilder zu machen. Als Frank von seiner fotografischen Entwicklung erzählt, nennt er auch eine Reihe von Vorbildern, deren chronologisches Aufeinanderfolgen (als Vorbilder) auch seine Entwicklung kennzeichnet: Nach der anfänglichen Begeisterung für die perfekte Technik eines Ansel Adams und der eigenen intensiven Auseinandersetzung mit der Technik selbst, spürt Frank sehr schnell, daß hier die Lebendigkeit fehlt, die er selbst jedoch erreichen will. Ein späteres "Vorbild", Diane Arbus, charakterisiert Frank mit diesem schönen Zitat: "Fotografie ist ein Geheimnis über ein Geheimnis".

Für mich paßt dieses Zitat perfekt auch auf Frank Thissen: das Vermittelnde des Mediums, die didaktischen Möglichkeiten seiner Nutzung gewinnen für die Arbeit selbst eine zentrale Bedeutung. So wie sich ein Maler mit Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Werkzeuge und damit letztlich denen der Malerei als solcher, als Medium, auseinandersetzt, so analysiert Frank Thissen die Fotografie:
das Fotografieren eines Gegenstandes, der schon "an sich" etwas Mystisches haben mag, wird durch die mediale Bearbeitung der Fotos nochmals mystifiziert – was verwirrend oder klärend oder normalerweise beides gleichzeitig ist.

Vielleicht ist eine Auswirkung seines Philosophiestudiums: Frank Thissen befaßt sich in allen seinen Tätigkeiten sehr ernsthaft und tiefgehend und immer reflektierend: Über Kants "Bedingungen der Möglichkeit" erreicht er (s)eine Metaebene, von der aus alles klarer wird - und nicht für ihn: neben dem roten Faden der fotografischen Arbeit haben wir den der Lehrtätigkeiten entdeckt. Frank ist ein hervorragender Didaktiker, der die Möglichkeiten der Vermittlung analysiert, aber die Ergebnisse dieser Analyse selbst umsetzt. […]

Schließlich lautete ja auch ein Versuch, seinen "Beruf" zu beschreiben, "Multimedia-Didaktiker". So ist inzwischen nicht mehr verwunderlich, daß Frank neben seiner Haupttätigkeit als Professor an der FH Stuttgart parallel ein Buch schreibt, das zwar Screendesign-Handbuch" heißen wird – und auch WebSiteDesign zum Thema hat. Dahinter aber steht ein Designverständnis, welches die komplette Auswahl und strukturelle Aufbereitung der Inhalte behandelt, die jemand im Internet verfügbar machen will. Klar, daß neben verschiedenen Negativ- und Positivbeispielen auch die "Virtuelle Kulturregion SWO" als bewährtes Vorbild genannt werden wird.

Auch bei den Webdesignaktivitäten könnte sich bei Frank ein Weg zur Kunst auftun: genauso wie er beim Fotografieren die genaue Kenntnis und Beherrschung der Technik als Voraussetzung der künstlerische Arbeit sieht, genauso könnte die Beherrschung des kompletten Instrumentariums des Webdesigns - natürlich einschließlich aller didaktisch relevanten Aspekte - Freiräume schaffen, in denen Webdesign zur WebKunst wird.

Um mich vor der Begriffsdefinition zu drücken, beende ich hier diesen Text. Denn Frank Thissen ist eigentlich Künstler, der sich die Zeit nehmen sollte."

Jürgen Linde, SWO

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